Nachwuchsvirtuosin Katrin Scholz gab ihre geigerische Visitenkarte ab
BÖBLINGEN. Nahezu klammheimlich ist er zum ersten Mal als Veranstalter an die Öffentlichkeit getreten und hat gleich einen Bombenerfolg gelandet – ein Superkonzert und einen vollen Saal. Die Rede ist vom seit vier Jahren existierenden Verein zur Förderung junger Geiger, zunächst eine Institution als Ergänzung zur Musikschularbeit und jetzt eben ein Veranstalter. Vorsitzender Dr. Wagner aus Altdorf mußte gleich eine Programmänderung des Konzertes im Bonifatiushaus ankündigen. Statt Nina Boesen, die zwar im Auditorium saß, aber wegen einer Fingererkrankung passen mußte, spielte nun Katrin Scholz aus Berlin Violine und Maria So-fianska aus Stuttgart Klavier.
Ob es Gewinn oder Verlust gewesen ist, interessiert wenig, da Spekulation bleibend. Betrachten wir also die geigerischen wie musikalischen Fähigkeiten der gebürtigen Ostberlinerin, die aus einer exzellenten Musiker- und Professorenfamilie stammt und in letzter Zeit etliche internationale Preise eingeheimst hat, zuletzt beim Ku- lenkampff-Wettbewerb in Köln. Sie, die stehend kaum größer ist als die große Sofianska sitzend, strotzt nur so vor (zumindest musikalischem) Selbstbewußtsein, das zuallererst auf brillantestem, virtuosem Können beruht.
So gesehen war die Wahl von Brahms’ A-Dur-Sonate zu Beginn wenig glücklich. Dies so „sonnig“ dahinströmende Werk braucht einen auch menschlich gereiften Interpreten, der gewissermaßen vollmundig die satt-romantischen Farbschattierugen in glühendes, doch ebenso auch gedämpftes Licht tauchen kann. Und genau da ging Katrin Scholz zu wenig aus sich heraus, vertraute zu wenig auf die narrativen Qualitäten eines sonoren Geigentons. So fehlte es an der Binnenspannung, vor allem in den weniger exponierten Stellen der Komposition.
Spinnengewebe
Schon differenzierter ging es dann bei vier Preludes aus op. 34 von Schostakowitsch zu. Das humorig-groteske Element der Piecen lag der jungen Geigerin wesentlich besser; schnurrend vor Vergnügen oder zart wie Spinnengewebe zauberte sie die Töne aus ihrem Instrument und verblüffte ganz en passant mit technischen Kulinaria. Zu richtig großer Form lief sie jedoch nach der Pause des gut besuchten Konzertes auf. Ravels grandiose Sonate pendelt zwischen Strawinskischer Sprödheit und überschäumendem Spielwitz. Katrin Scholz ließ nun auch stärker ihr Temperament, mit Bogen und vier Saiten gewappnet, aus sich heraustreten, gab dem Stück seine effektvoll-virtuose, aber nicht vordergründige Komponente, sei es nun im feurigen Pizzica- to-Blues oder im irrwitzigen Perpetuum mobile des Schlußsatzes – und vergaß dennoch nicht, daß gerade bei Ravels späten Werken stets ein tieferer Urgrund an ernsterer Bedeutung vorhanden ist, der sich vor den Interpreten aber gern versteckt hält, wenn sie sich nicht darum bemühen.
Zirzensisch wurde es dann bei Sarasates „Caprice basque“. Was bei Ravel und Schostakowitsch noch eine geglückte Kombination von Artistik, Klangdifferenzierung und aufrichtiger Musikalität war, entpuppt sich beim Spanier als riskanter Seiltanz ohne doppelten Boden; musikalisch sicher weniger wertvoll, dennoch live faszinierend – vorausgesetzt man kann.
Und Katrin Scholz, deren äußerst sichere und souveräne Technik schon vorher überzeugte, ließ es nur so höllisch Zischen, Knallen und Qualmen, das alles noch bei ästhetisch gestaltetem Violinton, so daß man an berühmte Virtuosenvorfahren denkt. Das Publikum war aus dem Häuschen und bekam zwei Zugaben. Wenn nicht alles täuscht, wächst hier ein außergewöhnliches Geigengenie heran, vielleicht nicht mit der musikanisch-sinnlichen Ausstrahlung einer Mutter, dafür mit einer fordernden, nicht oberflächlichen Virtuosität der Extraklasse.
Die armen Pianisten können wirklich nichts dafür, aber als Begleiter stehen sie nicht im Rampenlicht, sondern müssen Akzente setzend funktionieren. Maria Sofianska tat dieses gut.
Dr. ULRICH KÖPPEN Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 26. Juni 1991