Mit einem Streichquartett-Konzert in der Stadtkirche meldet sich die Klassik-Szene zurück.
Böblingen: Die Pandemie verdammte auch die Klassik-Konzertkultur zu Zwangspause, Ausweichen ins Digitale oder Erprobung auf neu kreiertem Parkett wie Kultur im Auto. Mit einer Streichquartett-Aufführung in der Stadtkirche vor Publikum meldete sich jetzt die hiesige Klassik-Konzertszene unter fast gewohnten Aufführungsbedingungen zurück.
Es ist der seit langem bestehende Böblinger Verein Junge Geiger, der mit diesem Konzert die Rückkehr in den vormals vertrauten Konzertbetrieb wagt. Dabei hatte die Pandemie auch die ursprünglichen Pläne des Vereins verhagelt. Die Fortsetzung der unter dem Titel »Treffpunkt Streicher« vergangenen Oktober mit Bettina Kriegbaum und Anja Breuer gestarteten Konzertreihe fiel coronabedingt aus.
»Sie sehen, es geht was!“, präsentiert nun der Vorsitzende Siegfried H. Pöllmann zum vormals geplanten Aufführungstag die geplante Formation mit veränderter Terminierung: Beate Ochs, Violinistin des Bonner Beethoven-Orchesters, die Sindelfinger Violinistin Theresia Hanke und das Ehepaar Gabi und Erich Scheungraber, die gemeinsam die Freie Musikschule Weil im Schönbuch leiten und dieses Streichquartett komplettieren, sie am Cello, er an der Bratsche, waren an diesem Sonntag doppelt gefragt. Um allen Interessierten bei zwangsreduziertem Platzangebot den Konzertbesuch zu ermöglichen, war das teils bereits seit Studienzeiten miteinander vertraute Quartett gleich zwei Mal gefragt. Erstaufführung 16 Uhr, Wiederholungsaufführung 19 Uhr. Tatsächlich sind solche Anforderungen an die Musiker in puncto Konzentration grenzwertig angesichts eines Programms mit zwei so prominenten wie anspruchsvollen und jeweils über 30 Minuten Spieldauer langen Kompositionen in einem Genre, das ohnehin keine Fehler verzeiht. »Hammeranstrengend. Das ist kein Spaziergang“, erzählt nach der 2. Aufführung Gabi Scheungraber der SZ/BZ.
Schön, dass sie dies erzählt, darf man selbst nach dieser 19 Uhr-Aufführung bilanzieren. Denn das widerstreitet ganz dem Höreindruck: Der vermittelt insgesamt traumwandlerische Leichtigkeit bei so beweglicher wie feinkörniger Abstimmung. Antonin Dvoraks Es-Dur Quartett, obwohl gespickt mit reichlich folkloristisch-tänzerischem Kolorit gleitet so trotz reichlicher Temperamentsnachweise nie ins Grobe ab. Selbst das sprühende Finale strahlt noch die Liebenswürdigkeit aus, die bei dieser musikgewordenen Liebeserklärung an seine Heimat Dvorak bei seinem op. 51 die Feder geführt haben dürfte. Die reichhaltige Kirchenakustik umflort nicht nur Dvoraks zarte Partien mit milder Glutwärme, sie zucken auch Beethovens Nr. 3 aus der legendären Rasumowsky-Reihe op. 59 an schicklicher Stelle wie dem Grazioso des Menuetts. Andererseits beamt sich das Quartett auch locker in orchestrale Klangdimensionen und legt mit Beethovens Schluss, einem in Nähe eines atemlos jagenden perpetuum mobile angesiedelten Finalsatz, einen spektakulären Abgang hin. Ein herrlich schräge Wiener-Walzergroteske Erwin Schulhoffs von 1922 unterstreicht: Die hiesige Klassikszene hat die erste Infektionswelle überstanden. Auf weitere kann man verzichten. Folgeauftritte dieser Quartettformation sind dagegen erwünscht.
Bernd Heiden, SZ/BZ vom 20.07.2020