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Heiß und stürmisch

By 23. April 1991Juli 23rd, 2020No Comments

Isabelle Faust und Maria Sofianska im Albert-Einstein-Gymnasium

BÖBLINGEN. „Wechselhaft, starker Wind aus allen Richtungen bis hin zu orkanartigen Böen, zum Teil Aufheiterungen mit Temperaturen bis zum Schmelzpunkt.“ So ähnlich hätte die Vorhersage für die „Wetterlage“ des Duo-Abends in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums mit Isabelle Faust (Violine) und Maria Sofianska (Klavier) aussehen können. ‚“Die zwei Künstlerinnen gingen mit einer solchen Energie und Kraft ans Werk, daß es eine reine Freude war, ihrem erstklassigen Spiel zu lauschen.
Das Werk? – Es waren gleich zwei von Schubert (Sonatine in g-Moll und als Glanz-, End- und Höhepunkt die große Fantasie für Violine und Klavier in C-Dur), Beethovens c-Moll Sonate und „Vier Stücke für Violine und Klavier“ von Anton Webern. Ein geschriebener und damit an sich lebloser Notentext kann nur dadurch auferweckt werden, daß sich Musiker intensiv mit ihm beschäftigen, im Sinne des Komponisten wiedergeben und dabei möglichst eine eigene Vorstellung in die Interpretation einfließen lassen. Das Resultat dieser Vorarbeit war in brillanter Weise zu hören: Affekte und Phrasierungen kamen aus dem Innersten, gewollt spitze, hohe Töne kitzelten in den Ohren, gewaltiges Aufbäumen aus der Tiefe und Wellen, die alles Vorherige gleichsam überschwemmten, folgten.
Das markante Hauptthema der Schubert-Sonatine, in das er eine gehörige Portion seines Weltschmerzes gelegt hat, war schon die erste Orkanböe. Die sehr energische Musizierweise beider Instrumentalistinnen rissen die Zuhörer bei vorwärtsstrebenden, hellen Phrasen ebenso mit wie bei ruhigen, fast depressiven Melodien. Das slawisch anmutende Hauptthema des vierten Satzes
war zudem ein tänzerisches Element.
Die Saiten der Violine, die vor allem bei der folgenden Beethoven-Sonate einer permanenten Belastbarkeitsprobe ausgesetzt waren, hielten dem festen Strich der Violinistin gut stand, lediglich ein paar Bogenhaare nahmen buchstäblich Reißaus.
Isabelle Faust ließ ihre Geige grollen, zärtlich singen, weinen und schreien, ja manchmal glaubte man fast ein verschmitztes Lachen zu hören. Maria Sofianska, Dozentin an der Hochschule für Musik in Stuttgart, war bei jeder Einzelheit in Rhythmus, Dynamik und Artikulation aufs Feinste mit ihrer Duo-Partnerin abgestimmt.
Den letzten Programmpunkt bildete die fast 30minütige C-Dur Fantasie, die Schubert ein Jahr vor seinem Tod geschrieben hat. Isabelle Faust glänzte in diesen letzten aufbrausenden Stürmen noch einmal mit einem satten Klang in allen Tonlagen und leidenschaftlicher Melodieführung, bei der ihr
Spannungen
die Töne und die Haare nur so um die Ohren flogen. Als Gegenpol dazu standen die harmonischen Rückungen der komplexen Klavierbegleitungen mit ewig hinausgezögerten Spannungsakkorden, deren Auflösungen von der Pianistin geschmackvoll zurückgenommen wurden. Einzig eine ausgedehnte Pizzicatostelle ging in den wilden Wellenbewegungen des Flügels etwas unter.
Der Förderverein Junge Geiger hat mit dieser Veranstaltung allemal einen kulturellen Volltreffer gelandet, und die im Publikum zahlreich vertretenen Geigen-Youngsters der Jugendmusikschule haben für die nächste Zeit sicherlich einen Motivationsschub bekommen.

ANJA MORCZINEK, KREISZEITUNG/ BÖBLINGER BOTE  22.10.1991