Böblingen: Florian von Radowitz und Andrea Kim in AEG-AulaVon unserem Mitarbeiter Bernd Heiden
Auf Einladung des Fördervereins Junge Geiger Böblingen gastierten in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG) die Violinistin Andrea Kim und der Pianist Florian von Radowitz mit Sonaten von Mozart bis Avantgarde.
Für Florian von Radowitz war es die Heimkehr an alte Wirkungsstätte. Der ehemalige Schüler von Nora Huzly an der Sin- delfinger SMTT hatte am AEG damals noch unter dem Namen Florian Schnabel sein Abitur gemacht.
Mit Violinistin Andrea Kim konzertiert von Radowitz nun schon einige Zeit. 2007 zählten sie zur Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler des Deutschen Musikrates. Selbst wenn der Flügel der Aula seine besten Tage hinter sich hat und eine Frischzellenkur vertragen könnte, das Duo bescherte einen grandiosen Kammermusikabend, der hielt, was die Meriten versprachen.
Zu dick oder zu dünn im Ton, zu sachlich oder zu verkitscht in der Modellierung: Mozart macht es Geigern leichter, etwas falsch als richtig zu machen. Mit der Violinsonate KV 296 von Wolfgang Amadeus Mozart lieferte Violinistin Elim indes ein Beispiel mit Referenzwert. Unter Verzicht auf falsches Parfüm und Zuckerguss formt sie das heiter-apollinische Stück aus dem Gedanken klassischen Ebenmaßes unter sparsamem Einsatz der Gestaltungsmittel. Die variiert sie allerdings in mitunter mikroskopischen Dosen, was ihr eine glänzende Bogentechnik gestattet und eine selbst im Spitzenbereich nicht alle Tage zu sehende Vibratokontrolle. Die Abstimmung mit einem ebenso filigran perlenden wie arios gespielten Flügel ist in der Aula ebenfalls vorbildlich: Selbst scheinbar nebensächlichere, zarte Violintöne behalten ihr Existenzrecht.
Wie eine luftige Tuschezeichnung zu einem gespachtelten Ölbild verhält sich Mozart zur romantischen c-Moll-Sonate Edvard Griegs. Der Norweger arbeitet mit saftiger Melodik, schillernden Klaviereffekten, süßlicher Idyllik und rustikal daherstampfender, wohl von nordischen Volkstänzen inspirierter Rhythmik. Griegs Welt entfaltet das Duo mit immenser Klangbreite und Sorgwir- kung, mitunter leidenschaftlich-ungestüm, ohne aber die grüblerisch-nachdenklichen Augenblicke zu überspielen.
Teils Atonalität und Aleatorik – Zufallsprinzipien – und experimentierfreudige Spieltechniken für die Violine setzt Witold Lutoslawski in seiner Partita von 1984 ein. Aber das Stück besticht mit Formkonsequenz, Expressivität und im konservativen Sinn schöner wie skurriler Klanglichkeit. Furios, mit stetem knüpfen neuer Spannungsbögen durchmessen die Interpreten diesen zwischen Hysterie und Wutausbrüchen, verletzlicher Elegie und Zerbrechlichkeit mäandernden Musikkosmos.
Ist Zerfall der Einheit ein Signum der Moderne, so ist Leos Janäceks Sonate von 1922 trotz klassischer Konstruktion gefühlt modern. Eine durch Spätromantik und Impressionismus informierte Tonsprache kreiert blitzartige Stimmungswechsel und nicht zuletzt der notturnomäßig anhebende, dann vom Duo zu sagenhaften Intensitätsspitzen getriebene Finalsatz, steht für das rhapsodische des Gesamtstücks: Der rauschhafte Höhenflug endet in erschöpfter Resignation.
SZ/BZ vom 4. November 2011