Skip to main content
Bisherige KonzerteGeschichtePresse

Drahtseilakte auf Saiten

By 30. Juni 1992Juli 23rd, 2020No Comments

Die Geigerin Nina Boesen und der Pianist Peter Winhardt im Württembergsaal

BÖBLINGEN. Kammermusik auf höchstem technischen, wie mu­sikalischen Niveau boten die Gei­gerin Nina Boesen und ihr Partner am Flügel, Peter Winhardt, bei ih­rem Duoabend im Württemberg- saal der Kongreßhalle. Der       För­derverein „Junge Geiger Böblin­gen e. V.“ hatte zu diesem Konzert geladen und es war sicherlich der „harte Kern“ der Musikliebhaber Böblingens, der hier versammelt war. Immerhin hatten sich etwa sechzig Besucher eingefunden, eine Zahl, die man für Böblinger Verhältnisse schon als erfreulich ansehen muß, haben doch Konzer­te solcher Art in Böblingen keine Tradition und somit kein Stamm­publikum. Was den „Förderverein Junge Geiger“ betrifft, so sieht er seine Hauptaufgabe in der Unter­stützung des Unterrichts auf Streichinstrumenten an der hiesi­gen Musik- und Kunstschule. Kon­zertveranstaltungen ergänzen le­diglich das pädagogische Konzept.

Für das zunehmend hellauf be­geisterte Publikum wurde rasch deutlich, daß es zwei hervorragen­de Musiker vor sich hatte, die sich im Verlauf des vielseitigen Programmes enorm zu steigern wuß­ten. Man begann mit Ludwig van Beethovens gewichtiger G-Dur Sonate op. 96, dem letzten Werk eines großen Zyklus von zehn So­naten für die Besetzung Klavier und Violine.

Gleich hier verstanden es Nina Boesen und Peter Winhardt ohne Anfangsnervositäten eine in sich geschlossene Interpretation zu bieten: technisch makellos und sehr subtil in Aspekten der Dyna­mik und Klangfarben. Souverän und leidenschaftlich bei teils atemberaubenden Tempi folgte die d-Moll Sonate op. 108 von Jo­hannes Brahms: ein beeindrucken­der Vortrag, der Vergleiche mit großen Vertretern des Faches, auch aut Plattenaufnahmen, nicht zu scheuen brauchte.

Nach der Pause Friedrich Smetanas Stücke „Aus der Heimat“. Beim ersten Hören boten diese Stücke nicht viel Neues, zeigten aber erneut die große Gestal­tungskraft des Duos. Schnell wandte man sich der „Carmenfan­tasie“ zu, einer Komposition von Pablo de Sarasate nach Themen der gleichnamigen Oper von Bizet. Für Geiger bildet dieses Stück eine Art „Drahtseilakt“. Es ist ge­spickt mit allen technischen An­forderungen und Finessen, die man der Violine zu entlocken ver­mag und Nina Boesen vermochte hier alle Register ihres enormen Könnens zu ziehen. Mit kantablem Schmelz und süßer Kantilene zeichnete sie die dramatische Ge­schichte um Carmen nach, konnte
die musikalischen Szenen der Oper lebendig werden lassen und entledigte sich aller technischen Schwierigkeiten mit lässiger Bra­vour. Peter Winhardt, der glänzen­de Pianist des Abends, der gerade noch in Brahms’ Komposition ein „Klavierkonzert“ wahrlich mei­sterhaft absolviert hatte, bereitete nun einen Klangteppich um Nina Boesens Spiel. Das Publikum war hingerissen. Ein Abend, der dem Zuhörer in Erinnerung bleiben wird. Man hatte den Eindruck, daß die beiden Künstler am Anfang einer aussichtsreichen Karriere stehen. Für den Förderverein bleibt zu hoffen, daß sich die Qua­lität dieser Konzerte herumspricht und die Zuhörerzahlen ansteigen.

SIEGFRIED H. PÖLLMANN, KRZ/Böblinger Bote 30. Juni 1992